Bilder in der Kommunikationswissenschaft

Dieser Artikel stellt einen modifizierten Auszug aus der Masterarbeit  “Explorative Untersuchung von visuellen Internet-Phänomenen am Beispiel von „Internet-Bild-Memen“ im Fach Kommunikationswissenschaft an der LMU München 2013 dar.

Was ist visuelle Kommunikationswissenschaft?

Die visuelle Kommunikationswissenschaft bzw. – Kommunikationsforschung ist eine junge, stark interdisziplinär ausgerichtete Subdisziplin der Kommunikationswissenschaft, welche im Zuge des pictorial- oder iconic turns begründet wurde und sich gegen den in der Sozialwissenschaft existierenden Logozentrismus und Anikonismus wendet. Während einige Bildkritiker, wie Neil Postman, Bilder als „triviale Kommunikationsform“ abtun und sogar als Bedrohung der (Schrift-) Kultur ansehen, sprechen wiederum andere Forscher wie Belting und Lobinger vom „visuellen Zeitalter“ bzw. einer „visuellen Medienkultur“.

Die visuelle Kommunikationsforschung, die auch als „spezielle Bildwissenschaft“ verhandelt wird, verwendet im Gegensatz zu den „Allgemeinen Bildwissenschaften“ einen engeren Bildbegriff und versucht mit diesem [...] „gegenwärtige visuelle Phänomene zu verstehen und in ihren sozialen, kulturellen, ökonomischen und politischen Kontexten zu erklären“. Während sich die „Allgemeinen Bildwissenschaften“ mit aller Bildlichkeit und somit auch mit Gedankenbildern, Erinnerungen, Skulpturen, Metaphern und anderen Bildformen beschäftigen, gehen Kommunikationswissenschaftler wie Marion Müller, Thomas Knieper und Katharina Lobinger von Bildern als manifeste, in Kontext eingebettete, (Massen-) medial-verankerten Bildern aus, welche immer eine Botschaft (als Kommunikat) transportieren. Die jeweiligen Trägermedien können hierbei Printmedien, wie Zeitschriften, Wahlplakate, Flyer, aber auch im Web befindliche Digitalbilder sein, was bei der Beschäftigung mit Internet-Memen relevant ist.

Grundlagen zu Bildern in der Kommunikationswissenschaft

Durch die Digitalisierung von Bildern und die globalisierte (Medien-) Vernetzung können Bilder in Sekundenschnelle auf der ganzen Welt verbreitet werden, und so möglicherweise auch globale Schlüsselbilder oder Bildikonen (wie z.B. die zerstörten Zwillingstürme des WTC) erschaffen. Gerade Bilder vermögen es, sprachliche Barrieren aufzubrechen und als eine Art universelles visuelles Kommunikationsmittel zu fungieren, wobei hier kulturelle Unterschiede und damit Interpretationsdifferenzen nicht außer Acht gelassen werden dürfen .

Diese visuelle Kommunikation findet entweder über Kommunikation – durch oder mit – Bildern statt. Beide Formen gelten als Teil des sogenannten „Bildhandelns“. Beim digitalen oder elektronischen Bild sieht der Bildwissenschaftler Mitchell zwischen Aufnahme und Wiedergabe „einen Moment der Gestaltung“, der mit Bildeditoren eine Bildmanipulation („painting“) ermöglicht.

Diverse Untersuchungen zeigten, dass unabhängig von kulturellen Unterschieden, Bilder generell mehr Aufmerksamkeit erhalten, schneller[1] und ausführlicher verarbeitet werden als textliche oder sprachliche Botschaften. Des Weiteren lassen sich Emotionen z.B. durch „nonverbale Gefühlsausdrücke“ – wie z.B. Lachen, Weinen, Schreien – aufgrund der „assoziativen Logik“ besser visuell über Bilder als über textlastige Medien[2] darstellen.

Bilder werden besser erinnert und lösen bei Rezipienten affektive Reaktionen/Emotionen[3] (Empathie, Wut, Angst, etc.) durch (1) die Darstellung von Emotionen in Bildern (z.B. Abbild eines weinenden Kindes) oder durch (2) formale Darstellungsaspekte (z.B. Farbbilder, ausgewogene kontrastreiche Gestaltung, ungewöhnliche Perspektive etc.).

Doelkers Bildbegriff

Da in der visuellen Kommunikationsforschung auch nicht-manifeste Bilder nicht gänzlich ausgeklammert werden sollen, soll ein vom Medienpädagogen Christian Doelker entwickeltes Bildmodell vereinfacht erörtert werden:

Nach Doelker entspricht das Perzept (P) einem inneren (Denk-) Bild bzw. einer Idee. Diese kann mittels Abbild (A), Übernahme (Ü) oder Eigengestaltung (E) in die Form des „Originals“ überführt werden, welches dann in eine technische reproduzierbare, manifeste Form – das sogenannte „Kommunikat“ (Medienbild) transferiert wird und massenmedial reproduziert und distribuiert werden kann. Wenn man nun wieder eine Stufe zurück geht, bedeutet dies, dass das Abbild ein möglichst genaues Festhalten des Bildes auf einem Trägermedium (z.B. Gemälde, Fotografischer Film) ist. Die Übernahme beschreibt das direkte „Einfangen“ eines Gegenstandes (z.B. Moderne Kunst – Materialbilder von Joseph Beuys), während die Eigengestaltung eine individuelle Interpretation des Kopf-Bildes darstellt. Dazwischen gibt es eine Vielzahl von Mischformen, die mit A‘ oder Ü‘‘ im Modell gekennzeichnet sind. Beim Transfer des Gedankenbildes zum Kommunikat wird nur ein bestimmter Ausschnitt (Realitätsauszug) erhalten bzw. neu interpretiert.

Was sind eigentlich Bildikonen?

Bildikonen oder „discrete icons“ sind (meist) fotojournalistische Einzelbilder mit ganz besonderen Elementen, die einen bestimmen Augenblick eingefangen haben und so stellvertretend für ein ganzes Ereignis stehen – z.B. Spanischer Bürgerkrieg ausgedrückt durch das Bild vom „fallenden Milizionär“. Meist kommen diese einzigartigen Aufnahmen aus dem Bereich der „Krisen- und Kriegsfotografie“, haben einen hohen Authentizitätsanspruch und werden im Gedächtnis der Betrachter stark verankert. Diese Bilder können bei Bedarf immer wieder reaktualisiert werden[4] und u.U. sogar für ganze und nachfolgende Generationen identitätsstiftend sein.


David Perlmutter (1998) und Reinhold Viehoff (2005) haben zur Identifikation von Bildkonen Kriterienkataloge entwickelt, die jeweils zehn (Perlmutter) bzw. sieben (Viehoff) Kriterien und Schritte enthalten[5], welche Bilder zu Bildikonen machen können.

Kriterienkatalog für Bildikonen nach Grittmann/Ammann 2008:

 Kriterien nach David D. Perlmutter (1998)
  • Celebrity: das Foto ist so berühmt, dass es zumindest von einer Generation wiedererkannt wird. Insbesondere Diskurs-Eliten – wie Politiker, Medienleute oder Wissenschaftler – schreiben ihm eine wichtige Bedeutung zu.
  • Prominence: das Foto wird auch auf Titelseiten von Medien gedruckt.
  • Frequency: das Foto wird oft abgedruckt.
  • Profit: das Foto ist ein rentables und kommerzielles Produkt.
  •  Instantaneousness: das Foto wurde sehr schnell berühmt, wird aber auch noch nach Jahren publiziert.
  • Transposability: Ikonen werden in verschiedenen Medien, wie Büchern oder Zeitungen abgedruckt.
  •  Premordiality: Ikonen rekurrieren oft auf Szenen aus Religion und Geschichte oder beziehen sich somit auf frühere Ikonen.
  •  Metonomy: Ikonen scheinen die Eigenschaft zu teilen, dass sie einen
  • Moment eines Ereignisses verdichten und symbolisch das gesamte Geschehenzum Ausdruck bringen.
  • Außerdem muss die Fotografie eine auffällige Komposition (striking composition) besitzen sowie aus einem relevanten Ereignis hervorgehen (importance of events)
 Kriterien nach Reinhold Viehoff (2005)
  •  (Re-)Inszenierung eines Bildes in unterschiedlichen Teilkulturen,
  •  (Re-)Inszenierung eines Bildes in der Kunst,
  •  Sekundäre Reproduktion des Bildes in den Medien,
  •  Verbreitung eines Bildes in der Konsum- und Alltagskultur,
  •  Tertiäre Reproduktion des Bildes in den Medien,
  •  Etablierung eines Bildes in der Erinnerungskultur,
  •  Quartiäre Reproduktion in der ritualisierten Berichterstattung und
  • Dokumentarfilmen im Rahmen der Gedenkkultur.

Bildkontexte und Multicodalität

Der häufig zitierte Leitsatz „Bilder sagen mehr als tausend Worte“, wird von Forschern wie Schierl (2001) für unrichtig erachtet, denn Bilder können aufgrund ihres polysemen Charakters nie verstanden/encodiert werden, wenn sie aus ihrem Kontext entrissen vorliegen – sie können lediglich etwas darstellen. Es gibt verschiedene Formen und Unterteilungen von Bildkontexten, wobei besonders der übergeordnete Fokus auf (mediale) Gestalt-/Motiv-, Produktions- und Rezeptionskontexte fruchtbar scheinen.

Lobinger (2012) untergliedert die medialen Kontexte nach den Anwendungsbereichen Journalismus, Werbung, Public Relation, Politik und Privatvermittelte visuelle Kommunikation. Davon abgeleitet spricht sie auch vom „Werbebild“, „PR-Bild“, „journalistischen Bild“ usw. als Bildarten.

Müller und Kappas „ergänzen“ zusätzlich zu den von Lobinger aufgestellten (Produktions-) Kontexten noch die Bereiche „künstlerisch“, „wissenschaftlich“ und „kommerziell“ in ihrem Modell zum „Bildbegriff und Kontextanalyse“ .

Knieper und Kollegen gehen bei ihrer Konzeption einer ikonologischen (qualitativen) Kontextanalyse von sechs Bildkontexten („Strategie-, Ereignis-, Produktions- Medien-, Rezeptions- und Kognitionskontext“) aus.

Bilder können hierbei in verschiedenen anwendungsbezogenen Kontexten auftauchen, bzw. gerade diese aufgrund von Neukontextualisierungen durchlaufen oder auch vermischen. Ihren Ursprung können sie hierbei in allen hier aufgeführten Kontextbereichen einnehmen – So ist es beispielsweise vorstellbar, dass ein im Politik-Kontext entstandenes Bild mit einem künstlerischem Bild in einem Bildmem vermischt und in der privaten visuellen Kommunikation genutzt wird.[6] Auch die Produktionsperspektiven verschwimmen bei der Mem-Erstellung zunehmend und können nicht einfach differenziert werden. Somit scheint die entsprechende kontextorientierte Decodierung von Bild-Memen sehr vielfältig zu sein. Dass Bilder unabhängig von Bild-Memen auch verschiedene Kontexte durchlaufen[7], haben auch Kappas und Müller (2006) anhand eines Andy Warhol-Bildes herausgestellt, das in den „journalistischen Wirkungskontext“ eines Feuilletons oder ins Museum „wandert“ und so einen anderen Sinn/Zweck erfüllt, demonstriert.

Multicodalität bei Bildern bzw. Memen (Bild-/Text-Schere)

Da Bilder häufig mit einem Text ausgewiesen oder in einen Text eingebettet sind, und dadurch erst der Kontext erzeugt wird, sollte man bei einer analytischen Betrachtung von einer Text-Bild-Trennung absehen.

„Multimodale Medientexte werden als zusammenhängende bedeutungsübertragende, in einen Kontext eingebettete Kommunikationsbotschaften wahrgenommen und müssen daher auch als eine Einheit untersucht werden.“

Auch bei digitalen Bildern werden Bildtexte immer wichtiger und können nicht losgelöst vom Bild betrachtet werden, weil sie einerseits zur Suche durch Suchmaschinen und andererseits zur möglichen Klärung von Urheberrechten herangezogen werden. Außerdem betrifft diese digitale Verschlagwortung indirekt den Entstehungs- und Themenkontext.

Wie mit manifesten Bildern, mit oder ohne Text, in der visuellen Kommunikationsforschung umgegangen wird, verdeutlichen die unterschiedlichen Methoden und Ansätze, die hier detaillierter illustriert werden -> Methoden der visuellen Kommunikationswissenschaft.



[1]Innerhalb 1/100tel bis maximal zwei Sekunden.

[2] Mit Texten lassen sich wiederum einfacher abstrakte Konzepte darstellen.

[3] Fahr und Früh sprechen hierbei von Rezeptionsemotionen.

[4] Vorrausgesetzt sie wurden auf einem „ Speichermedium“ archiviert (vgl. Assmann/Assmann 1994:120).

[5] die aber nicht zwingend alle zutreffen müssen

[6] Auch völlig andere Kombinationen sind denkbar.

[7] Allerdings ohne „vermischt“ zu werden.

Dieser Artikel stellt einen modifizierten Auszug der Masterarbeit  “Explorative Untersuchung von visuellen Internet-Phänomenen am Beispiel von „Internet-Bild-Memen“ im Fach Kommunikationswissenschaft an der LMU München 2013 dar.
Folgendende Quellen wurden u.a, hierfür verwendet:

 

Bock, Annekatrin/Holger Isermann/Thomas Knieper (2011): Ikonologische Kontextanalyse. In: Petersen, Thomas/Schwender, Clemens (Hg.): Die Entschlüsselung der Bilder – Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Büllesbach, Alfred (2008): Digitale Bildmanipulation und Ethik. AktuelleTendenzen im Fotojournalismus. IN: Grittmann, Elke; Neverla, Irene; Ammann, Ilona (Hrsg.): Global, lokal, digital – Fotojournalismus heute. Köln, S. 108 – 136.

Campanelli, Vito (2010): Web Aesthetics . How Digital Media Affect Culture and Society. Amster- dam/Rotterdam: Institute of Network Cultures/NA.

Doelker, Christian (1997): Ein Bild ist mehr als ein Bild. Visuelle Kompetenz in der Multimedia-Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta.

Donk, André (2009): Öffentliche Kommunikation über Vergangenheit – Soziales Gedächtnis in kommunikationswissenschaftlicher Perspektive. In: Merten, Klaus (Hrsg.): Konstruktion von Kommunikation in der Mediengesellschaft. Festschrift für Joachim Westerbarkey. Wiesbaden, S. 13-29.

Kappas, Arvid/Müller Marion G. (2006): Bild und Emotion – ein neues Forschungsfeld. Theoretische Ansätze aus Emotionspsychologie, Bildwissenschaft und visueller Kommunikationsforschung. In: Publizistik. Vol. 51 (2006), S. 3-23.

Geise, Stephanie (2011): Vision that matters. Die Wirkungs- und Funktionslogik Visueller Politischer Kommunikation am Beispiel des Wahlplakats. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Geise, Stephanie/Lobinger, Katharina (Hrsg.) (2012): Bilder, Kulturen, Identitäten. Analysen zu einem Spannungsfeld visueller Kommunikationsforschung. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Grittmann, Elke (2007): Das politische Bild: Fotojournalismus und Pressefotografie in Theorie und Empirie. Köln: Herbert von Halem Verlag.

Grittmann, Elke/Ammann, Ilona (2008): Ikonen der Kriegs und Krisenfotografie (Zusammen mit Ilona Ammann): In: Grittmann, Elke/Neverla, Irene/Ammann, Ilona (Hg.): Global, lokal, digital – Strukturen und Trends des Fotojournalismus. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 296- 325.

Grittmann, Elke/Ammann, Ilona (2009): Die Methode der quantitativen Bildtypenanalyse: Zur Routinisierung der Bildberichterstattung am Beispiel von 9/11 in der journalistischen Erinnerungskultur. in Petersen, T., & Schwender, C. (Hrsg.), Visuelle Stereotypen. (S. 141-158). Köln: Herbert von Halem Verlag.

Grittmann, Elke/Lobinger, Katharina (2011): Quantitative Bildinhaltsanalyse. In: Petersen, Thomas/Schwender, Clemens (Hrsg.): Die Entschlüsselung der Bilder – Methoden zur Erforschung visueller Kommunikation. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 145-162.

Kappas, Arvid/Müller Marion G. (2006): Bild und Emotion – ein neues Forschungsfeld. Theoretische Ansätze aus Emotionspsychologie, Bildwissenschaft und visueller Kommunikationsforschung. In: Publizistik. Vol. 51 (2006), S. 3-23.

Lobinger, Katharina (2009): Visuelle Stereotype. Resultate besonderer Bild-Text Interaktionen. In: Petersen, Thomas/Schwender, Clemens (Hrsg.): Visuelle Stereotype. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 109-122.

Lobinger, Katharina/Geise, Stephanie (2012): Zur Analyse von Bildern, Kulturen und Identitäten: Perspektiven und Herausforderungen der Visuellen Kommunikationsforschung. In: Geise, Stephanie/Lobinger, Katharina (Hrsg.) (2012/2013): Bilder – Kulturen – Identitäten. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 9-32.

Lobinger, Katharina (2012): Visuelle Kommunikationsforschung. Medienbilder als Herausforderung für die Kommunikations- und Medienwissenschaft. Reihe „Medien – Kultur – Kommunikation“. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Müller, Marion G./Knieper, Thomas (Hg.) (2006): Emotionalisierung durch Bilder. Sonderheft Publizistik, Jg. 51, Nr. 1.

Müller, Marion G. (2007): What is visuall communication? Past and Future of an Emerging Field of Communication Research. In: Studies in Communication Science, 7(2), S. 7-34.

Schierl, Thomas (2001): Text und Bild in der Werbung. Bedingungen, Wirkungen und Anwendungen bei Anzeigen und Plakaten. Köln: Herbert von Halem Verlag.